06.2005
Was mit Gewalt unterdrückt und ausgerottet wird, erwacht irgendwann wieder zum Leben. So auch die Götter unserer Urahnen.
Sie waren nicht wirklich tot, sie haben nur geschlafen. In Felsspalten, in Erdlöchern, in alten Baumstümpfen, in uns. Jetzt kehren sie zurück und nehmen ihre alten Plätze wieder ein; so selbstverständlich, als hätte es nie einen anderen Gott an ihrer Stelle gegeben. Ein Ort, an dem diese alten Götter scharenweise wie Pilze aus dem Boden schießen, ist der Götterhain am Rande der kleinen Ortschaft Waldbronn. BALD sprach mit der Hüterin des Götterhains, Anke Nadler v. Eckel.
BALD: Frau N., woher kommen die Götter und der Götterhain? Fielen sie vom Himmel?
Frau N.: Keineswegs, sowohl die Götter als auch der Hain kamen aus der Erde. Sie stiegen in Form von reiner Energie aus der Tiefe empor, strömten in feinen Wellen durch unsere Körper nach oben zu unseren Köpfen und von dort direkt in unsere Hände …
BALD: Wollen Sie damit sagen, Sie haben die Götter selbst geschaffen?
Frau N.: Nein, die Götter haben sich durch uns geschaffen bzw. manifestiert.
BALD: Wer ist „uns“?
Frau N.: Schülerinnen und Schüler der Dr.Marianne-Probst-Schule. Sie haben mit mir gemeinsam diesen Hain verwirklicht und die Götter ins Leben gerufen.
BALD: Aber dann sind doch die Götter völlig nutzlos. Ein von Menschen geschaffener Gott ist ein Götzenbild und besitzt keine Macht.
Frau N.: Das ist nicht richtig. Denn auch ein Fernsehgerät ist ein von Menschen geschaffenes Götzenbild, das tagtäglich Millionen von Menschen anbeten. Es besitzt eine enorme Macht, wenn Sie bedenken, was es alles bewegt.
BALD: Eine schöne Metapher, aber ob ein Fernsehgerät wirklich etwas mit einem Gott zu tun hat …?
Frau N.: Sehr viel sogar. Ein Mensch, der jeden Abend seinen Fernseher einschaltet, zelebriert ein Ritual. Er nimmt seinen Zauberstab, auch Fernbedienung genannt, drückt einen Knopf und schon kommt der Geist der globalen und regionalen Meinungsmacher über ihn und formt den Menschen nach dem Ebenbild deren Meinung. Mehr noch. Das Fernsehgerät nimmt den Menschen in seinen Bann, trennt ihn von seiner Wurzel und lässt ihn verkümmern, wie eine Blume, die man, auf Blüte und Stängel reduziert, in eine Vase steckt.
BALD: Und was tun die Götter im Götterhain?
Frau N.: Sie bringen den Menschen, der sie besucht und sich für sie öffnet, wieder mit seinen eigenen Wurzeln in Verbindung. Sie sind wie ein Schrei aus der Tiefe. Ein schöpferischer Schrei nach Leben, der die Herzen mit unserer Urkraft erfüllt.
BALD: Frau N., böse Zungen behaupten, Sie würden die Götter missbrauchen, weil Sie den Hain mit einem Zaun umgrenzt haben und Eintritt von jedem Besucher verlangen.
Frau N.: Das ist nichts weiter als üble Nachrede. Richtig ist, dass der Hain umzäunt ist, aber wir verlangen keinen Eintritt, sondern bitten die Besucher um ein Opfer an die Götter.
BALD: Ist das am Ende nicht dasselbe?
Frau N.: Absolut nicht. Das Opfer, das die Götter verlangen, ist etwas Spirituelles. In dem Geldschein oder der Münze, die der Besucher opfert, steckt ein Teil seiner Seele. Je schmerzhafter das Opfer, desto größer der Seelenanteil, den der Besucher opfert. Diesen Seelenanteil nehmen die Götter als Gegenleistung für das, was sie dem Menschen geben. Die stückweise Befreiung seiner Seele nämlich. Wir, die schöpferischen Werkzeuge der Götter, nehmen nur den materiellen Teil, das entseelte Geld, um es mit neuem Geist und neuem Leben zu beseelen.
BALD: Wie geschieht das?
Frau N.: Indem wir das Geld, nach Rücksprache mit den Göttern, einer neuen Bestimmung zuführen. Einem guten Zweck.
BALD: Zum Beispiel?
Frau N.: Zum Beispiel caritativen Einrichtungen oder Projekten. Oder unseren eigenen Brieftaschen, denn auch das ist ein guter Zweck. Als Dienerinnen und Diener der Götter, als die wir uns verstehen, können wir den Göttern nur so lange dienen, wie wir zu Essen haben, uns einkleiden können, ein Dach über dem Kopf besitzen, kurz – so lange, wie es uns selbst gut geht.
BALD: Das leuchtet ein, Frau N.. Vielen Dank für das Interview!